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Erstellt am 31. Oktober 2013

Gerechtigkeit für den Zwarten Piet!

Die Holländer sind empört. Ihre Regierung hat Post aus Genf bekommen. In Genf sitzt der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, und der Menschenrechtsrat hat eine Reihe von Fragen. Die Fragen sind belehrend. Die Fragen sind eigentlich sogar unverschämt. Die Holländer sollen sich rechtfertigen dafür, wie sie Nikolaus feiern.    

Der Brief ist bereits vom Januar 2013, doch die Regierung hat ihn lange geheimgehalten. Nikolaus ist für die Holländer das wichtigste Fest überhaupt; sie feiern es so groß wie kein anderes, und sie feiern es auf eine ganz besondere Art. Die Regierung hat den Brief aus Genf geheimgehalten, damit die Holländer sich nicht unnötig aufregen. Aber jetzt ist er eben doch bekannt geworden, und die Holländer regen sich sogar sehr auf.

In Holland – sicherheitshalber sei es dazugesagt (näheres hier) – feiert man Nikolaus auf eine Art, die an Karneval erinnert. Man veranstaltet in der Nikolauszeit zum Beispiel Straßenumzüge. Man verkleidet sich für die Umzüge gern. Und man feiert, wie die Verkleidung zeigt, eigentlich gar nicht so sehr den Nikolaus selbst. Man verkleidet sich nicht als Nikolaus, man verkleidet sich als sein Diener: als der Zwarte Piet. Der Zwarte Piet ist nämlich lustiger. Er singt und tanzt und macht Späße. Der Nikolaus wird geachtet, der Zwarten Piet aber wird geliebt. Und alles könnte gut sein, wenn da nicht noch eine Besonderheit wäre. Der Zwarte Piet ist, wie der Name schon sagt, schwarz. Und wenn sich die Holländer als er verkleiden, dann geben sie darauf natürlich acht. Sie schminken sich das Gesicht schwarz, und sie setzen sich eine schwarze Perücke auf. Und eben das will ihnen der Menschenrechtsrat nun verbieten.

Die Holländer regen sich seit genau dem 19. Oktober so auf. Am 19. Oktober haben sie erstmals vom Brief des Rats erfahren; eine Tageszeitung hat ihn zugespielt bekommen und öffentlich gemacht.1 Der Brief verheißt nichts Gutes. Der Regierung wird mitgeteilt, daß beim Menschenrechtsrat ein Ermittlungsverfahren gegen Holland laufe. Es bestehe der Verdacht, daß die Figur des Zwarten Piet ein Ausdruck von Rassismus sei. Es bestehe der Verdacht, daß die Regierung, obwohl sie völkerrechtlich dazu verpflichtet sei, nicht genug gegen diesen Ausdruck von Rassismus unternehme.2 Man kann der Regierung nachfühlen, daß sie den Brief geheimhalten wollte. Die Empörung, die er jetzt hervorruft, ist wirklich sehr groß.

Titelbilder

Die Niederlande im Oktober 2013: nur zwei Titelseiten von vielen

Die Holländer sind beunruhigt. Es ist nicht so, als ob der Vorwurf als solcher ihnen neu wäre. Es ist nicht so, als ob der Zwarte Piet nicht auch in Holland Gegner hätte. Doch die Gegner in Holland sind schwache Gegner. Sie sind Außenseiter. Wenn jemand den Zwarten Piet für rassistisch hält, dann zeigt das nur, daß er ihn nicht versteht. Neun von zehn Holländern aber verstehen den Zwarten Piet. Neun von zehn Holländern wollen, daß er genau so bleibt, wie er nun einmal ist: eben schwarz. Sie wollen es auch jetzt noch, nach Bekanntwerden des Briefs aus Genf. Sie wollen es vielleicht sogar erst recht.3 Aber beunruhigt sind sie trotzdem. Mit einem Gegner wie den Vereinten Nationen hatten sie es noch nie zu tun.

Was genau geschieht eigentlich, wenn der Menschenrechtsrat gegen einen ermittelt? Wie gehen seine Ermittler vor? Und wer hat sie überhaupt zu Ermittlern ernannt? – Der Brief aus Genf ist von vier sogenannten Berichterstattern unterzeichnet, drei Frauen und einem Mann. Die Berichterstatter kommen aus Jamaika, Pakistan, Ungarn und Kenia. Sie haben auf englisch geschrieben; man muß annehmen, daß sie des Holländischen nicht einmal mächtig sind. Man muß annehmen, daß sie sich mit dem holländischen Nikolausbrauchtum schon gleich gar nicht auskennen. Doch wie können sie es dann beurteilen?

Die Regierung wollte nicht, daß die Holländer sich unnötig aufregen, die Holländer aber tun es trotzdem. Sie tun es um so mehr, als es bei dem Brief nicht geblieben ist. Am 22. Oktober hat die Berichterstatterin aus Jamaica sich erneut über den Zwarten Piet geäußert, telefonisch diesesmal, im Gespräch mit einem holländischen Journalisten. Die Berichterstatterin ist Sozialhistorikerin, ihre Fachgebiete sind die karibische Geschichte und die Genderforschung, und mit dem holländischen Nikolausbrauchtum kennt sie sich, wie das Gespräch zeigt, tatsächlich nicht aus. Sie hält es auch gar nicht für nötig, sich auszukennen. Ihr genügt es, daß sie selbst schwarz ist. Sie sieht auf den ersten Blick, daß der Zwarte Piet Rassismus ist. Und wenn es nach ihr geht, dann wird das am Ende auch die UN-Vollversammlung so sehen. Die vier Berichterstatter werden einen entsprechenden Bericht schreiben, der Bericht wird vor die Vollversammlung kommen, und die Vollversammlung wird eine Resolution verabschieden. Eine Resolution gegen Holland, versteht sich.4

Die Holländer wollen keinen Streit, doch wenn die Vereinten Nationen welchen wollen, dann können sie ihn haben. Die Holländer lassen sich nicht einschüchtern. Dem Zwarten Piet geschieht Unrecht, und die Holländer prangern es an. Zwarte Piet is geen racisme! Der Schwarze Piet ist kein Rassismus! – In Den Haag organisiert eine Schülerin eine Protestkundgebung.5 In Rotterdam geht eine Frau ins Tätowierstudio und läßt sich einen Zwarten Piet in den Nacken tätowieren.6 In Roosendaal richten zwei Männer dem Zwarten Piet eine Facebook-Seite ein, und nach nur einem Tag hat die Seite eine Million Unterstützer. Nach zwei Tagen sind es zwei Millionen.7 Die Holländer lieben den Zwarten Piet, und sie stehen zu ihrer Liebe. Und sie lassen sie sich auch von den Vereinten Nationen nicht verbieten.

Telegraaf TV 221013

Ein Nachrichtensprecher solidarisiert sich: Telegraaf TV Nieuws, 22. Oktober 2013

Die Holländer fordern eine Entschuldigung von den Vereinten Nationen. Die Holländer sind wütend. Sie sind übrigens nicht die einzigen: die Menschen im Nachbarland Belgien sind kaum weniger wütend. Das holländische Nikolausbrauchtum nämlich ist zugleich das belgische, und obwohl der Menschenrechtsrat nur gegen Holland ermittelt, ist auch in Belgien die Aufregung groß. Ein Brauchtumsforscher von der Universität Brüssel bezeichnet die Berichterstatterin aus Jamaika als inkompetent.8 Ein Menschenrechtsfachmann von der Universität Löwen nennt ihre Ideen dumm.9 Ein Politiker der belgischen Sozialisten vermutet sogar, daß das wahre Motiv der Berichterstatterin nicht Antirassismus sei, sondern Schwulenfeindlichkeit.10 Und wenn seine Begründung (man könne sich den Nikolaus und den Zwarte Piet nämlich ebensogut als multikulturelles Schwulenpaar vorstellen) auch nicht jedem einleuchtet, so läßt man sie doch erst einmal gelten. Alles, was gegen die Vereinten Nationen gerichtet ist, läßt man erst einmal gelten. Die Vereinten Nationen müssen sich entschuldigen. Die Vereinten Nationen müssen begreifen, daß sie zu weit gegangen sind.

Die Holländer sind sich ihrer Sache sicher. Sie sind sich so sicher, daß sie die Berichterstatterin aus Jamaika sogar einladen. In zwei Wochen, am 16. November, beginnt in Holland wieder die Nikolauszeit. Die Eröffnungsfeier, der Sinterklaas Intocht, findet in Groningen statt, und die Stadt Groningen hat der Berichterstatterin bereits geschrieben. Die Berichterstatterin soll mitfeiern.11 Die Holländer haben nichts zu verbergen. Gefeiert wird die Ankunft des Nikolaus und des Zwarten Piet aus Spanien; die beiden kommen mit dem Schiff, und Zehntausende von Menschen werden sie am Hafen und in der Stadt erwarten. Die Berichterstatterin soll es sich ansehen, unbedingt, damit sie endlich weiß, wovon sie redet. Zwarte Piet is geen racisme! Und Personenschutz bekäme sie natürlich auch.

– Die Holländer erwarten eine Entschuldigung, und solange sich niemand entschuldigt, machen sie jedenfalls weiter. Die Holländer erwarten vor allem von der Berichterstatterin aus Jamaika eine Entschuldigung. Die Holländer wollen die Berichterstatterin persönlich sprechen. Politiker bieten ihr Treffen an, Journalisten Interviews. Doch die Berichterstatterin ist nicht mehr zu sprechen. Das Telefoninterview vom 22. Oktober war ihr vorläufig letztes. Auf die Einladung aus Groningen antwortet sie nicht, auf Terminanfragen von Politikern ebensowenig. Und wenn Journalisten anrufen, legt sie sofort wieder auf.12 Ist ihr die Sache am Ende selbst schon peinlich?

Zumindest hinter vorgehaltener Hand geben Diplomaten in Genf und New York zu, daß die Berichterstatterin sich unklug verhalten hat.13 Zumindest zwischen den Zeilen geben die Vereinten Nationen zu verstehen, daß sie sich ihre Berichterstatter nicht aussuchen können. Berichterstatter, heißt es in einer Presserklärung, seien keine Angestellten der Vereinten Nationen.14 Berichterstatter, heißt es plötzlich, seien unabhängige Berater, die weder im Auftrag der Vereinten Nationen handelten noch im Namen der Vereinten Nationen sprächen.15 Die Holländer hören es und staunen. Denn wenn die Berichterstatterin tatsächlich nicht im Namen der Vereinten Nationen spricht – wieso ist ihr Brief an die holländische Regierung dann auf offiziellem Briefpapier der Vereinten Nationen geschrieben?

Die Regierung wollte nicht, daß die Holländer sich unnötig aufregen, die Holländer tun es trotzdem. Zu der Demonstration zum Beispiel, zu der die Schülerin in Den Haag aufgerufen hat, sind am 26. Oktober Hunderte von Menschen erschienen, viele von ihnen als Zwarter Piet verkleidet.16 Und bezeichnenderweise ist die Demonstration auch nicht mehr ganz friedlich verlaufen. Einige Demonstranten haben eine Frau bedrängt und beschimpft, die sie für eine Gegendemonstrantin hielten. Tatsächlich aber war die Frau keine Gegendemonstrantin; sie war bloß schwarz und demonstrierte für eine ganz andere Sache: für die Freiheit von West-Papua nämlich. Man hat sie, weil sie schwarz war und eine unbekannte Fahne schwenkte, sozusagen auf Verdacht beschimpft. Man wäre beinahe sogar handgreiflich gegen sie geworden.17 Und wenn der Hauptschuldige im nachhinein auch Reue bekundet, so hat er der Sache des Zwarten Piet trotzdem sehr geschadet.18 Rassismusvorwürfe widerlegt man nicht dadurch, daß man Schwarze beschimpft.

Daß jedenfalls die Berichterstatterin aus Jamaika die Einladung zum Sinterklaas Intocht in Groningen noch annimmt, scheint inzwischen doch sehr unwahrscheinlich.

  1. Bas Blokker, Verenigde Naties doen onderzoek naar ‘domkop en knecht’ Zwarte Piet, NRC.nl, 19. Oktober 2013
  2. Verene Shepherd et al., To the government of the Netherlands, ohchr.org, 17. Januar 2013
  3. Rozemarijn Lubbe, Onderzoek: ‘Zwarte Piet hoeft niet te worden aangepast’, Eenvandaag.nl, 22. Oktober 2013
  4. Willem Jan Bloem, Verene Shepherd wil kwestie in Algemene Vergadering van de VN, Eenvandaag.nl, 22. Oktober 2013
  5. Haagse (16) organiseert demonstratie voor behoud Zwarte Piet, Omroep West, 22. Oktober 2013
  6. Vrouw laat tattoo van Zwarte Piet zetten, Telegraaf.nl, 23. Oktober 2013
  7. Jesse van Kalmthout, 2 miljoen likes voor Roosendaalse Facebookpagina Pietitie: ‚Gesprek met Shepherd zou mooi zijn‘, Omroep Brabant, 23. Oktober 2013
  8. Marc Jacobs, Zwarte Piet wordt misbruikt, De Redactie, 23. Oktober 2013
  9. Michaël Merrigan, Niet elke Zwarte Piet schendt onze grondprincipes, Knack.be, 25. Oktober 2013
  10. Jean Marie de Meester, Sinterklaas en Zwarte Piet zijn het bekendste interraciaal homokoppel van België en Nederland, Knack.be, 23. Oktober 2013
  11. Sven Spoormakers, ‚Verenigde Naties doen niets tegen sinterklaasfeest‘, Algemeen Dagblad, 24. Oktober 2013
  12. Inge Lengton, Jan-Willem Navis, ‚Zeurpiet‘ zwijgt, Telegraaf.nl, 25. Oktober 2013
  13. Shari Deira, ‚Diplomaten willen vertrek VN-onderzoeker na kritiek Zwarte Piet‘, Elsevier.nl, 23. Oktober 2013
  14. What is the role of human rights independent experts?, United Nations Blog, 24. Oktober 2013
  15. Pieterjan Huyghebaert, VN wil Sinterklaas niet afschaffen, De Redactie, 24. Oktober 2013
  16. Pim van den Dool, Honderden mensen betogen voor behoud Zwarte Piet in Den Haag, NRC.nl, 26. Oktober 2013
  17. Gerrit de Heus, Zwarte Piet, Malieveld The Hague (English), Blog, 27. Oktober 2013
  18. Zwarte Piet-demonstrant biedt excuses aan, Omroep West, 29. Oktober 2013