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Erstellt am 29. Dezember 2013

Vom Himmel hoch

Man kann Gott danken, daß nichts Schlimmeres passiert ist. Der Stein fiel während der Heiligen Messe von der Decke, und das auch noch an Heiligabend. Er fiel in den Altarraum. Er traf den Priester. Er verletzte den Priester zwar nur leicht, doch er hätte ihn auch schwer verletzen können. Die Messe wurde abgebrochen.      

Der Stein fiel nicht in irgendeiner Kirche von der Decke. Er fiel in der Notre-Dame d’Aquilon von der Decke, einer bald 500 Jahre alten Kirche in der französischen Gemeinde Guillestre. Die Notre-Dame d’Aquilon steht auf der Liste der bedeutenden Bauwerke Frankreichs. Sie befindet sich in Staatsbesitz. Sie ist ein Denkmal. Der Staat hätte eigentlich die Pflicht gehabt, sie instandzuhalten. Er hat seine Pflicht aber nicht getan.

Der Priester bekam es zu spüren. Der Stein traf den Priester am Kopf, der Priester ging zu Boden, Kirchgänger mußten sich um ihn kümmern. Die Messe wurde abgebrochen, die Kirche geräumt. Der Priester kam ins Krankenhaus. Seit Jahren schon war den Behörden bekannt, daß sich im Mauerwerk Risse gebildet hatten. Unternommen aber haben sie nichts.1

Bilder von einer Priesterweihe in der Notre-Dame d’Aquilon, September 2013

Der Priester wurde mit elf Stichen am Kopf genäht; er durfte das Krankenhaus gleich wieder verlassen. Heute, fünf Tage später, ist er schon wieder im Dienst. Man kann Gott danken, daß nichts Schlimmeres passiert ist. Die Notre-Dame d’Aquilon bleibt bis auf weiteres geschlossen, und das ist auch gut so. Wenigstens eines hat der Zwischenfall bewirkt. Die Behörden unternehmen endlich was.

Der Bürgermeister hat das Denkmalschutzamt und die Präfektur verständigt. Der Staat wird Sachverständige schicken, und die Sachverständigen werden die Kirche begutachten. Die Sachverständigen werden Empfehlungen abgeben. Der Staat wird den Empfehlungen folgen. Er wird Gelder bereitstellen und Handwerker beauftragen und die Mauerschäden beseitigen lassen. Der Vorfall hat allen einen großen Schreck eingejagt. Ein zweites Mal wird es bestimmt nicht passieren, daß während der Heiligabendmesse plötzlich ein Stein von der Decke fällt.

Die Behörden unternehmen endlich etwas, die Notre-Dame d’Aquilon wird endlich renoviert, und man könnte Gott auch hierfür danken. Der Stein ist schließlich nur deshalb von der Decke gefallen, weil Gott es so gewollt hat. Man könnte Gott danken, aber man hätte kein gutes Gefühl dabei. Der Vorfall hat nicht nur den Behörden einen großen Schreck eingejagt, sondern auch den Gottesdienstbesuchern. Hätte ein etwas kleinerer Schreck es nicht ebenso getan?

Es war Heiligabend. Die Kirche war voll. Unter den 400 Gottesdiensbesuchern befanden sich auch Kinder. War es unbedingt nötig, daß der Stein gleich jemanden trifft und verletzt? War es unbedingt nötig, daß er es ausgerechnet an einem solchen Tag tut? – Man wüßte wirklich gerne, was Gott selbst dazu sagt. Doch wie üblich erfährt man es halt nicht. Wie üblich ist er für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

  1. Olivier Buteux, Dominique Collomb, Guillestre: le père Juretig «va bien», l’église, elle, reste fermée, Le Dauphiné Libéré, 26. Dezember 2013