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Erstellt am 29. März 2013

Wann platzt die Weihnachtsbaumblase?

Wieviele Christbäume es insgesamt in Deutschland gibt, weiß niemand. Man kann es nur vermuten. Für Christbäume gilt keine Meldepflicht. Vielleicht beträgt ihre Gesamtzahl 250, vielleicht auch 300 Millionen. Die Vermutungen gehen auseinander. Einig ist man sich nur darin: Es werden von Jahr zu Jahr mehr.      

Im Jahr 2000 wurden in Deutschland 22 Millionen Christbäume verkauft, im Jahr 2012 waren es schon über 29 Millionen.1 Im Jahr 2000 wurden für Christbäume 409 Millionen Euro ausgegeben, im Jahr 2012 schon 700 Millionen.2 Das Christbaumgeschäft boomt, und wer einsteigen will, der braucht eigentlich nur zweierlei: ein paar Hektar Land und ein paar Jahre Geduld.

Christbäume wachsen nicht frei im Wald, sondern eingezäunt in Monokulturen. Sie wachsen nicht von selbst. Man muß dafür sorgen, daß sie beim Wachsen nicht gestört werden. Man pflanzt sie als Setzlinge und sägt sie erst nach sieben bis zwölf Jahren wieder um. Die Setzlingen kauft man bei Baumschulen, die fertigen Bäume verkauft man an Großhändler. Aus tausend Setzlingen zu einem Einkaufspreis von vielleicht 80 Cent das Stück werden am Ende sechs- bis siebenhundert Bäume zu einem Verkaufsstückpreis von vielleicht 20 Euro. Natürlich fallen dazwischen noch weitere Kosten an. Man hat zum Beispiel Lohnkosten für Saisonarbeiter, man hat Materialkosten für Pflanzenschutzmittel, man hat Pachtkosten für Anbauflächen. Doch ein Geschäft macht man trotzdem. Man macht sogar ein gutes. Man kann zum Beispiel für Anbauflächen höhere Preise zahlen, als etwa ein Acker- oder Milchbauer es kann. Wo heute Christbaumkulturen stehen, befanden sich früher einmal Äcker oder Wiesen oder Wälder. Das Christbaumgeschäft boomt.

Schleswig-Holstein, Dezember 2011: Ein Christbaumproduzent erklärt, worauf es ankommt

Die Frage ist nur, wie lange es noch boomt. Der Boom hat auch eine Kehrseite. In manchen Gegenden Deutschlands – im Sauerland etwa, im Spessart oder im Odenwald – nimmt der Christbaumanbau schon überhand. Er breitet sich zu stark aus. Er rückt zu nahe an die Wohngebiete heran. Anwohner beschweren sich über den Einsatz von Dünge- und Unkrautvernichtungs- und Pflanzenschutzmitteln, Urlauber beschweren sich über die Verschandelung der Landschaft, Landwirte beschweren sich über den Anstieg der Pachtpreise. Ausgerechnet in den Hochburgen der Christbaumproduktion regt sich Unmut.3 Es gibt 250 bis 300 Millionen Christbäume in Deutschland, und möglicherweise sind das bereits zu viele.

Die Verkaufszahlen können nicht ewig steigen. Sie können es gleich gar nicht, wenn die Sympathiewerte sinken. Im Sauerland, im Spessart und im Odenwald gibt es schon Bürgerinitiativen gegen Christbaumkulturen. Bürgerinitiativen sind natürlich schlecht für die Sympathiewerte. Es gibt Bürgerversammlungen, es gibt Gemeinderatssitzungen, es gibt Landtagsdebatten. Der Christbaum ist ins Gerede gekommen. Umweltschützer warnen vor Giftrückständen in Christbaumnadeln,4 Gemeinderäte schaffen christbaumfreie Zonen,5 Landesregierungen schließen Gesetzeslücken, die sich die Christbaumproduzenten bislang zunutze machen konnten.6 Eine Gesetzeslücke in Nordrhein-Westfalen etwa hat es den Produzenten erlaubt, Christbaumkulturen nach Belieben auch im Wald anzulegen. Ein neues Gesetz soll diese Lücke nun schließen. Wenn es im Juni verabschiedet wird, müssen sogar 4000 Hektar bereits bestehender Kulturen wieder aufgegeben und zurück in normalen Wald verwandelt werden.7 Das Christbaumgeschäft boomt, aber zugleich wird etwas spürbar, das den Boom auf lange Sicht gefährdet: eine Stimmung nämlich, die man fast schon als Christbaumfeindlichkeit bezeichnen muß.

Die Christbäume für die nächsten zehn Jahre sind bereits gepflanzt. Falls der Boom weitergeht, werden sich auch die nötigen Käufer für sie finden. Falls er allerdings nicht weitergeht, wird eine gehörige Blase platzen. Denn da sind ja nicht nur die 250 bis 300 Millionen Christbäume, die es in Deutschland sozusagen offiziell gibt. Da sind ja auch noch die von keiner Schätzung und Statistik erfaßten illegalen Bäume auf illegal angelegten Plantagen. In guten Zeiten läßt sich natürlich auch mit illegalen Christbäumen ein gutes Geschäft machen. Aber so richtig gut sind die Zeiten eben nicht mehr. So, wie es jetzt dem Besitzer einer illegalen Christbaumkultur im Hochsauerland erging, ergeht es dieser Tage vielen. Er bekam die behördliche Anordnung, die Kultur zu roden, er klagte gegen die Anordnung – und er verlor.8 Wenn die Zeiten schlechter werden, sind es immer die Schwächsten, denen es zuallererst an den Kragen geht.

  1. Hauptverband der Deutschen Holzindustrie e. V., Zahl der verkauften Weihnachtsbäume in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2012, handelsdaten.de, Dezember 2012
  2. Hauptverband der Deutschen Holzindustrie e. V., Bruttoumsatz mit Weihnachtsbäumen in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2012, handelsdaten.de, Dezember 2012
  3. Thomas Wagner, Die Invasion der Weihnachtsbäume: Naturschutzbund befürchtet Öko-Unsinn, Deutschlandradio, 15. Dezember 2010
  4. BUND Pressemitteilung, BUND-Weihnachtsbaumtester finden in fast der Hälfte der Bäume teils verbotene Pestizide, BUND.net, 16. Dezember 2011
  5. Zum Erhalt von Grün- und Ackerland: Kommune schreibt Freihaltungsflächen fest, Main-Post, 11. März 2012
  6. Sabine Braun, Gesetz zu Christbaumplantagen beschlossen: Kommunen bekommen Steuerungsmöglichkeiten zurück, Fränkische Nachrichten, 25.11.2010
  7. Armin Asbrand, Weniger Weihnachtsbäume im Wald? / Neues Landesforstgesetz will Anbau von Weihnachtsbäumen im Wald begrenzen, Landwirtschaftliches Wochenblatt Westfalen-Lippe, 6. März 2013
  8. Jürgen Kortmann, Weihnachtsbaumplantage in Niederlandenbeck muss gerodet werden, WAZ, 19. März 2013