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Erstellt am 15. Februar 2013

Die vielen Gräber des heiligen Nikolaus

Um eine sehr lange Geschichte etwas kürzer zu machen (die lange Version findet sich im Weihnachtskatastrophenbuch ab Seite 133):

Der heilige Nikolaus liegt heute in Süditalien in der Stadt Bari begraben, aber da lag er nicht immer. Ursprünglich befand sich sein Grab in Kleinasien, in einer damals griechischen Stadt namens Myra. Etwa 500 Jahre nach seinem Tod, im Jahr 1087, wurden seine Gebeine dann allerdings geraubt, von einem Piratenkommando aus Bari. Und während man in Bari ein neues Grab für ihn anlegte und eine neue Kirche darüberbaute, wurde Myra bald darauf von den Türken erobert.   

Myra wurde türkisch und muslimisch und heißt heute Demre. Die Kirche mit dem ursprünglichen Nikolausgrab verfiel. Die Kirche in Bari mit dem neuen Grab, die Basilica di San Nicola, ist bis auf den heutigen Tag eine bedeutende und sehr einträgliche Pilgerstätte.1 Die Kirche in Demre mit dem ursprünglichen Grab dagegen ist nur mehr ein unbedeutendes und armseliges Weihnachtsmannmuseum: das Noel Baba Müzesi.

Bari, Mai 2012: die Festa di San Nicola, das Fest zur Ankunft der Heiligen Gebeine

Die Türkei tut sich schwer mit der Vermarktung christlicher Altertümer. Einerseits würde sie ein solch gutes Geschäft, wie Bari es nun seit mittlerweile neunhundert Jahren mit dem heiligen Nikolaus macht, auch selbst gerne machen. Andererseits weiß sie nicht wirklich, wie sie das anstellen sollte. Demre bzw. Myra als christlichen Pilgerort wiederzubeleben, verbietet sich aus muslimischen Gründen. Man hätte sozusagen gerne die Pilger, nur eben ohne ihren Glauben.

Das Dilemma ist nicht auflösbar. Die Schuld daran gibt man irgendwie den Christen. Wenn Bari nicht vor neunhundert Jahren die Gebeine des heiligen Nikolaus geraubt hätte, bräuchte Demre heute auch nicht auf Bari neidisch zu sein. Der Türkei ist, als sie noch gar nicht die Türkei war, etwas gestohlen worden, mit dem sie heute ohnehin nichts mehr anfangen könnte.2 Aber sie ärgert sich trotzdem. Sie ärgert sich so sehr, daß sie diejenigen, denen sie die Schuld gibt, unbedingt auch ärgern möchte. Sie tut es. Sie provoziert.

Demre, Dezember 2012: Die alte Grabeskirche dient jetzt als Weihnachtsmannmuseum. Für Gottesdienste braucht es eine Sondergenehmigung.

Seit Jahren erheben türkische Offizielle eine Forderung, von der sie genau wissen, daß sie niemals erfüllt werden wird. Die Gebeine des heiligen Nikolaus, sagen sie, gehören in die Türkei. Sie gehören nicht in eine Kirche in Bari, sondern in ein Museum in Demre. Der Bürgermeister von Demre sagt es. Der Minister für Kultur und Tourismus sagt es.3 Der Leiter der Noel Baba Vakfının, der Weihnachtsmannstiftung im nahegelegenen Antalya, sagt es.4 Die Christen sollen die Gebeine des heiligen Nikolaus zurückgeben. Und wenn einer ganz besonders provozieren will, dann sagt er nicht einmal: die Gebeine des Nikolaus, sondern gar noch: die Gebeine des Weihnachtsmanns.

Das Klügste aus christlicher Sicht wäre es natürlich, erst gar nicht auf die Provokation zu reagieren. Doch irgendwer reagiert halt immer. Im Januar zum Beispiel – diesmal war es der Leiter der archäologischen Ausgrabungen in Demre, der das Thema von türkischer Seite aufgebracht hatte5 – reagierte ein Kirchensprecher in der Schweiz. In Bari liegt nämlich nicht der ganze Nikolaus; ein kleines Stück von ihm (ein Stück Arm wahrscheinlich) wird seit 1506 im schweizerischen Freiburg in der Kathedrale St. Nikolaus aufbewahrt. Und wie alle Sprecher zuvor hat nun also auch der Domprobst von Freiburg klargestellt: eine Herausgabe der Reliquien wird es nie und nimmer geben.6

Die Türken wissen es ohnehin. Aber wie gesagt: Wenn sie sich schon ärgern, dann wollen sie wenigstens, daß die anderen es ebenfalls tun.

  1. Rory Carroll, Bones of contention, The Guardian, 22. Dezember 2000
  2. hier ein ein zeitgenössischer Bericht: The Translation of Saint Nicholas, Confessor von Nicephorus, aus dem Lateinischen von Charles W. Jones
  3. KNA, Türkei will Gebeine des Nikolaus von Italien zurückfordern, kath.net, 2. Januar 2010
  4. James C. Helicke, Turkish group demands that Italy return Santa Claus‘ bones, Hürriyet Daily News, 2. Januar 2003
  5. Fidesdienst, Reliquien des heiligen Nikolaus von Myra sollen in die Türkei zurück kehren, fides.org, 4. Januar 2013
  6. François Mauron, «Fribourg ne rendra jamais ses reliques de saint Nicolas», La Liberté (Fribourg), 7. Januar 2013